sepia photography of girl in polka dot dress
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Wir besuchen das Sommerkonzert der Schule meines älteren Sohnes. Eine Aula, gefüllt mit Schülern, Eltern, Lehrern und einigen Großeltern. Deutschland hat vor gerade einmal zwanzig Minuten die WM in der Vorrunde verlassen.Eine Schülerin moderiert und wünscht charmant, die Darbietungen mögen uns aufmuntern.

Zu Anfang spielt das Bläserensemble der fünften Klassen ein paar kurze Stücke. Mein ältester Sohn ist trompetend darunter. Verschmitzt winkt er uns zu, und ich freue mich, dass ihm das noch nicht peinlich ist. Selbstsicher spielt er sein Instrument und – es ist ihm (noch) nicht abzugewöhnen – bietet dabei ein rhytmisches, etwas abgeschwächtes Headbanging dar. Eigentlich finde ich das ganz zauberhaft, aber es macht sich bei dem Instrument nicht so gut – und die Oboe hatte er verschmäht. Da hätte er sich wiegen dürfen wie der Wind in den Weiden – kein Musiklehrer hätte das ernsthaft gerügt.

Es treten weiterhin auf: der Unterstufenchor, die Juniorband. Eine fortgeschrittene Bläserband, der Oberstufenchor und die Bigband. Die Solisten kommen erst später am Abend im zweiten Konzert. Nachdem mein Sohn seinen Auftritt hinter sich hat, habe ich Muße, die vielen verschiedenen Persönlichkeiten auf der Bühne wahrzunehmen. Und mir fällt etwas auf, das mich nachdenklich stimmt.

Klar, da gibt es so viele unterschiedliche Charaktere, und so von Weitem kann man ja auch nur in Bruchstücken wahrnehmen. Was jedoch ins Auge sticht, ist, dass es einige Jungen und Mädchen gibt, die geradezu von innen heraus Lebenversprühen. Denen die Freude am Musizieren –  und ich unterstelle mal – auch die Freude am Leben an sich, aus allen Knopflöchern strahlt. Ihre Gesichter sind selbstbewusst, offen und die Augen strahlen.

Und dann gibt es da Kinder und Jugendliche, die sich nicht so wohl in ihrer Haut zu fühlen scheinen. Denen das angeschaut werden nicht behaglich ist. Die steif in ihren Bewegungen und starr in ihren Gesichtszügen sind. Ihre Augen strahlen nicht. Sie wirken matt und leer. Ich schaue zu, und ich frage mich, welche Lebensmusik sie durch ihr Leben begleitet. Die langen Zeiten in der Seelsorge lassen meine Phantasie schweifen, und ich rufe mich selbst zur Ordnung. Vielleicht sind es ähnliche Schicksale, die diese jungen Menschen haben, wie sie mir durch den Kopf geistern. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht haben sie einfach auch nur Bühnenangst. Aber ich glaube mir selbst nicht so ganz, denn ich kann normalerweise solche „Schwíngungen“ ganz gut aufnehmen, die in so einer Menschenmenge herüberkommen. Und es ist auch eigene Erfahrung, die mich so wahrnehmen lässt, denn ich habe früher auch die meiste Zeit eher zu denen gehört, die ihre Gefühle unter dem vermeintlichen Schutz einer Maske versteckt haben. Unter denen, die sich nicht getraut haben, sich selbst mehr zu zeigen, weil sie Angst davor hatten, welche Konsequenzen das nach sich ziehen könnte. Die Befreiung aus diesen Verhaltensweisen kam erst später, nach und nach.

Und dann ist da auch die Erfahrung durch das, was ich in der Seelsorge höre, und auch durch den Umgang mit Menschen, die erwachsen wurden, aber heute immer noch in ähnlichem Zustand feststecken, wie diese Schüler, die mir auffallen.  Die das Leben, das sie in sich tragen, tief in ihrem Inneren versteckt oder sogar eingefroren haben. Die immer noch Angst davor haben, was passieren könnte, wenn sie es wagen würden, sich selbst so zu zeigen, wie sie sind.

Vor einer Woche fand das Seelsorgewochenende „Lasset die Kinder zu mir kommen – Das innere Kind zu Jesus bringen“ statt. So viele Tränen wie auf diesem Wochenende gab es zuvor noch nie. Und es war so gut. So viel unterdrückter Schmerz und alte Trauer kamen hoch. Und es fanden Begegnungen statt – zwischen uns allen – aber auch zwischen den ‚inneren Kindern‘ und Jesus. Und es wurde Vieles freigesetzt. Mit den Emotionen, die endlich ans Tageslicht geweint werden durften, kam auch Leben. Energie, Freude und Lachen. Schalk. Und auch das zaghafte Ausprobieren kindlicher Lebensfreude. Es wurde gemalt, Seil gesprungen, alte Gesellschaftsspiele aus der Kindheit wurden gespielt. Es gab ein Naschbuffet, jede hatte (soweit es zu erwerben war) ihre Lieblingssüßigkeit von früher mitgebracht.  Die Seifenblasen, die am Morgen als Überraschung vor jeder Zimmertür standen wurden benutzt. Und es kam ein neuer Glanz in manches Gesicht und ein Funkeln in manches Augenpaar. Und Keine (es waren diesmal nur Frauen da) war außen vor – alle waren mitten drin. Ich bin Jesus so dankbar für das, was geschehen ist.

Während ich im Sommerkonzert sitze, und diesen großen Kontrast wahrnehme, zwischen denen, die strahlen und ganz sie selbst sein können – und denen, die danach streben, nicht aufzufallen, und deren Gesichter verbergen, wer dahinter lebt (und auch, was zuhause so alles sein könnte) – schmerzt es mich. Sommerkinder und Mauerblümchen…  Und ich möchte diesen versteckten Kindern zurufen: „Warte ein bisschen. Es wird besser werden!“. oder: „Trau dich zu zeigen, wer du bist!“ Oder: „Du bist schön, auch wenn du es noch nicht weißt!“ Und ich wünschte, es gäbe jetzt schon mehr Hilfe für diejenigen, die es so dringend bräuchten. Und weil mir klar ist, dass es meist nicht so ist, weint mein Herz ein bisschen, dort im Sommerkonzert.

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