In unserem Haus wohnt ein Sachenschlucker. Oder eine Horde Mucklas. Ich kann es mir nicht anders erklären. Ständig verschwinden jede Menge kleiner Gegenstände. Es verschwinden nicht nur Socken. In dem Falle wüssten wir Bescheid: die Waschmaschine fordert halt ihren Tribut und gönnt sich mit jeder Buntwäsche mindestens einen Socken. Bei uns verschwinden aber auch kleine Gegenstände, wie Scheren, Kugelschreiber, Nagelfeilen und Pinzetten. Außerdem verschwindet immer wieder die Schulpost und auch Handyaufladungen.Es verschwinden Deckel von Streichkäseschachteln und Haushaltsgummis. Streichhölzer, Portemonnaies und Schlüssel und: kleine Löffel.

Pinzetten und Nagelfeilen, die eigentlich auf einer Ablage im Badezimmer beheimatet sind, finden sich regelmäßig in den Zimmern unserer Jungs. Entweder wurden sie in ein unglaubliches Konstrukt mit eingebaut, auf das die Söhne unglaublich stolz sind, und es wäre unglaublich grausam und banausenhaft, diese Konstrukte zu zerlegen, nur um trivialen Tätigkeiten wie abgebrochene Nägel zu feilen oder Stachel aus der Haut zu entfernen, nachzugehen. Oder Feile und Pinzette wurde dringend benötigt, um aus gewöhnlichen Strandsteinen Diamanten zu fertigen oder den Kaktus zu enthaaren.

Gestohlene Lebensmittel, wie Muffins, Kekse, der Inhalt einer Speiseeispackung oder einer Schlagsahneschüssel, Pizzareste etc.  finden sich für gewöhnlich Magen unseres Hundes wieder. Nicht dass wir diesen zur Überprüfung öffnen würden. Reste im Barthaar und sehr schuldbewusste Blicke und die bodennahe Kopfhaltung sind Indizien genug.

Es verschwinden aber auch Gedächtnisinhalte in großem Stile. Wusste ich in der Küche stehend noch sehr wohl, was ich im Wohnzimmer holen wollte, ist dieses Wissen mit dem Übertreten der Schwelle zum Wohnzimmer wie ausgelöscht. Ich gehe zurück in die Küche, in der Hoffnung, dass es mir wieder einfalle. Nichts. Absolut nichts weiß ich dann über mein ursprüngliches Vorhaben. Manchmal wird das Wissen nach ein oder drei Stunden wieder in mein Gehirn gespuckt, begleitet von einem fiesen Kichern. Nun könnte man dies auf mein Alter schieben. Aber dieser Gedächtnisraub geschieht auch den sehr jungen Mitgliedern unserer Hausgemeinschaft. Ein ganze Wochenende lang kann es sein, dass das Wissen um eine anstehende größere Hausaufgabe, die bis Montag zu erledigen ist, ohne jegliche Spuren zu hinterlassen direkt aus dem Gedächtnis der Söhne gestohlen wurde. Mehrmaliges Nachhaken nützt gar nichts: es gibt keinerlei Erinnerung an irgendeine Hausaufgabe. Da würden die Söhne drauf schwören und ihre Hände ins Feuer legen, wenn es eines gäbe. Sonntags um 19.55 Uhr entscheidet sich der noch nicht näher identifizierte Dieb, das Wissen über die Hausaufgabe wieder zurückzubringen. Und da stehen wir dann, und haben den Salat.

Es ist nicht ganz klar, ob der Sachenräuber Freude daran hat, gestohlene Inhalte im unpassensten Moment wieder in die Runde zu werfen, und sich das darauf hin entstehende Chaos anzuschauen. Vielleicht sitzt der Sachen- und Gedächtnisräuber gemütlich auf einem für uns unsichtbaren Ohrensessel an einem unsichtbaren Ort, mit Popcorn, Cola und Kuschedecke ausgestattet, und amüsiert sich köstlich. Vielleicht aber erwischt ihn auch seine Mutter, hält ihm eine Standpauke und verpflichtet ihn, das gestohlene Gut auf der Stelle zurückzubringen. Vielleicht hat sie die Gewohnheit zu ganz bestimmten Zeiten das Fell und die Taschen des Sachenräubers zu durchsuchen. Wahrscheinlich tut sie das immer ungefähr 1-3 Stunden nachdem der Sachenräuber in unserem Haus gespielt hat, aber ganz sicher tut sie es einmal in der Woche sonntags um ca. 19.45 Uhr, bevor der Sachenräuber ins Bett muss. Dank der ehrenhaften Moral der Mutter des Sachenräubers finden sich also dann doch die meisten Sachen und Gedächtnisinhalte irgendwann wieder in unserem Hause ein. Doch auch die besten Mütter haben Schwachstellen und geheime Gelüste. Die Mutter unseres Sachenräubers muss total auf kleine Löffel und Kugelschreiber stehen. Denn die finden sich beim besten Willen nicht wieder ein. Niemals sollte man in unserem Haus einen kleinen Löffel oder einen Kugelschreiber unbeaufsichtigt lassen. Es empfiehlt sich sogar, kleine Löffel in einem Extratresor nur für kleine Löffel aufzubewahren, und Kugelschreiber direkt im Mieder mit sich zu führen. Denn wenn man das nicht tut, sollte man sich nicht wundern, wenn man sie nie wieder zu Gesicht bekommen wird.

 

2 Gedanken zu “Sachenschlucker

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