Photo: pixybay/chrisaram2
Stell dir vor, du bist jetzt gerade am Strand, oder am Ufer eines Sees. Zusammen mit deinen engsten Freunden. Ihr sitzt um ein Feuer, es wird gegrillt und es wird gegessen, erzählt und gelacht. Mach einmal deine Augen zu und stelle dir diese Szene vor. Die Kühle des Vormittags, die Hitze des Feuers. Der Geruch von gebratenem Fleisch und geröstetem Baguette. Die Freunde unterhalten sich. Du hörst ihre Stimmen. Ihr Lachen. Du hörst die Wellen rauschen. Das Feuer knistert. Du sitzt auf einem Baumstamm oder einfach im Gras oder Sand. Stell dir jetzt vor, dass Jesus neben dir sitzt. Und er schaut dich an. Sein Blick ist liebevoll. Und er stellt dir eine Frage: „Liebst du mich?“ – Was antwortest du Jesus? Und was fühlst du dabei? Nimm dir ein wenig Zeit für diese Begegnung mit Jesus.
Das ist genau die Situation, die Petrus erlebt. Am Feuer mit Jesus. Die Augen Jesu, und die Frage: liebst du mich? Liebst du mich mehr, als die anderen hier.
Bei Petrus haut diese Frage voll rein. Denn Petrus ist sich seiner Liebe zu Jesus nicht mehr sicher. Die Frage ist geradezu schmerzhaft. In dieser Frage schwingt so viel mit. Gerade erlebte Geschichte. Und Petrus antwortet: „Du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Petrus blickt ins Feuer. Schnell hat er diese Frage beantwortet. Und es ist ihm ernst damit. Doch dann fährt ihm alles in die Glieder, was ihn schon die ganze Zeit beschäftigt. Jesus stellt ihm die Frage, die er sich selbst zutiefst stellt. Ja – er ist sich seiner Antwort nicht mehr sicher.
Zu viel ist passiert. Zu viel Grauen. Zu viel Versagen. Zu viel Scham. Bodenloser Schmerz. Trauer. Selbsthass.
Aber fangen wir von vorne an. Petrus, der Jünger, der voller Leidenschaft ist für Jesus. Zu Allem bereit für Jesus. Er hat alles verlassen für Jesus. Petrus gehört zu den drei engsten Vertauten Jesu. Johannes, Jakobus und Petrus. Immer dabei.
Und ganz zum Schluss, als Jesus es den Jüngern ganz klar macht: Mein Auftrag ist nicht, gegen die Römer zu kämpfen und Israel zu befreien. Mein Weg führt in den Tod. Meine Gegner werden mich ergreifen und töten. Da widerspricht Petrus vehement: Niemals wird dir das geschehen! Geliebter Rabbi, wir kämpfen für dich!
Und Jesus erwidert: Ihr alle werdet mich verlassen. Und Petrus widerspricht noch einmal: Wenn diese alle dich verlassen. Ich werde dich nicht verlassen! Was für ein Liebesbeweis. Niemals werde ich dich verlassen! Ich bin sogar bereit für dich zu sterben, Jesus!
Und dann die Schmach: Jesus wird gefangen genommen – und er wehrt sich nicht! Obwohl er doch die Macht hat, seine Gegner zu besiegen – mit nur einem Wort – mit nur einem Fingerzeig – Jesus wehrt sich nicht. Er tut … NICHTS. Er lässt sich fesseln und geht mit ihnen.
Petrus bleibt an seiner Seite. Die anderen Jünger sind geflohen. Aber Petrus folgt Jesus. Er versteckt sich in der Menge – aber er lässt Jesus nicht aus den Augen. Er hofft noch. Er wartet noch auf eine Gelegenheit. Und dann wird er Zeuge der Verhandlung. Und Zeuge davon, wie Jesus schweigt. Sich nichtmals mit Worten wehrt. Wird Zeuge seiner Verurteilung. Und er geht noch immer nicht.
Er hält das Unsagbare, das Unfassbare aus. Er weiß, was jetzt kommt. Er weiß darum, wie die Römer ihre Verurteilten foltern. Und er weiß: das kommt jetzt auf Jesus zu. Sein Rabbi, der Herr, der Sohn Gottes. Jesus, sein geliebter Freund, wird gefoltert werden. Petrus bleibt. Steht Todesängste aus. Ängste um Jesus. Ängste um sich selbst. Traumatisch ist es, zu bleiben. Traumatisch, zuzusehen. Traumatisch, zu wissen: ich kann der Nächste sein.
Und dann kommt der Moment, indem die Angst zur Realität wird. Jemand zeigt auf ihn, Petrus: Du gehörst doch auch zu diesem Jesus? Nein! Das stimmt nicht. Ich kenne ihn nicht!
Dreimal dieselbe Situation: Der da, der gehört auch zu Jesus. Dreimal rettet Petrus seine Haut: Nein. Ich kenne diesen Jesus nicht.
Was hättest du gesagt? Im Angsicht von Folter und Tod. Was hättest du gesagt?
Ich betreue seit ein paar Jahren Menschen in der Seelsorge, die Folter schlimmster Art erlebt haben. Sie erzählen nicht jedes Detail. Aber manches Detail muss auch erzählt werden und dann höre ich es. Und der Schrecken fährt mir in die Glieder und manchmal bleibt er dort. In meinen Gliedern. Zusammen mit dem Grauen darüber, was Menschen Menschen antun können. Und ich bekomme eine Vorstellung davon, wie es sein muss, gefoltert zu werden. Und wie ein Mensch bricht. Und wie ein Mensch dazu gebracht werden kann, alles zu tun. Alles zu verraten.
Und wenn ich mir die Frage stelle, ob ich Jesus verraten würde, angesichts von Folter und Tod, dann muss ich mir eingestehen, dass es gut möglich wäre. Höchstwahrscheinlich. Vielleicht unausweichlich.
Die meisten Menschen brechen schon im Angsicht des Schreckens. Warum sollte das bei mir anders sein? Warum sollte es bei Petrus anders sein?
Petrus war nicht schwach. Petrus war kein Feigling. Er war einfach ein Mensch im Angesicht des Grauens.
Und deshalb verleugnet er Jesus dreimal. Aber er bleibt immer noch, weil er Jesus liebt. Und dann schaut Jesus ihm in die Augen, und Petrus weint bitterlich und geht. Nicht weil er nicht genug liebt. Sondern weil er liebt. Er liebt Jesus und er verrät ihn. Und Jesus schaut ihn an und Petrus bricht. In seiner Liebe zu Jesus. An seiner Verleugnung. Im Angesicht der liebenden Augen Jesu.
Jetzt flieht er, weil er liebt, und weil er in seiner Liebe seine Liebe verraten hat.
Und der Schmerz und die Scham und der Selbsthass kommen und treffen ihn an der tiefsten Stelle seines Seins. Und sie bleiben. Sie gehen nicht wieder weg.
Sie bleiben, während Jesus stirbt. Sie bleiben während sie alle zusammen um Jesus trauern. Sie bleiben, als Maria berichtet: Ich habe ihn gesehen, Jesus lebt. Sie bleiben in Petrus Zweifel, ob das stimmen kann und in seiner Hoffnung, dass es stimmen möge.
Schmerz, Scham und Selbsthass. Sie bleiben, als Jesus zu ihnen tritt und Petrus den Auferstandenen sieht. Sie bleiben auch, als Jesus sagt: Friede mit euch. Doch für Petrus gibt es diesen Frieden nicht. Für Petrus bleiben Schmerz, Scham und Selbsthass.
Bis zu diesem Morgen. Am Feuer. Als Jesus noch einmal da ist. Ihm das Frühstück reicht. Sich neben ihn setzt und ihn anschaut. Petrus liebt Jesus aus tiefstem Herzen. Aber es bleiben Schmerz, Scham und Selbsthass.
Und dann stellt Jesus ihm diese Frage: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?
Davon ist Petrus kuriert. Nein, nicht mehr als diese. Aber ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Und Jesus antwortet: weide meine Schafe. Dreimal fragt Jesus. Und dreimal antwortet Petrus: Du weißt das ich dich lieb habe.
Und die Traurigkeit bricht sich Bahn in Petrus verhärtetem Herzen, und verdrängt Scham und Selbsthass. Der Schmerz wird gefühlt, zugelassen und fließt heraus.
Wir erleben hier eine Operation am offenen Herzen des Petrus. Mit scharfem Skalpell dringt Jesus bis in den tiefsten Punkt, und entfernt Selbsthass. Entfernt die Scham. Petrus darf trauern. Und Petrus darf der Wahrheit ins Gesicht sehen: Ja – er hat Jesus verraten. Aber er weiß jetzt auch, dass er nie aufgehört hat, Jesus zu lieben. Und er weiß, dass Jesus darum weiß. Und diese Wahrheit macht Petrus frei.
Und dreimal bestätigt Jesus dem Petrus, dass er ihn auch liebt. Dass er ihn nicht verlassen hat. Dass er ihm immer noch in die Augen schaut. Ihm Fisch brät und das Brot bricht. Und dass er an der Berufung, die er für Petrus hat, festhält. Nichts davon nehme ich dir weg, Petrus. Du bleibst der Fels auf dem ich meine Gemeinde baue. Weide meine Lämmer. Ich vertraue sie dir an, denn ich vertraue dir. Ich liebe dich, Petrus.
Vielleicht kennst du das Gefühl, das Petrus an diesem Morgen in sich trug. Nicht ganz genau dasselbe. Aber ähnlich.
Jesus fern zu sein. Nicht würdig zu sein. Zu schuldig zu sein. Vielleicht ist da Scham, die dich daran hindert, Jesus zu begegnen. Selbsthass.
Ich möchet dich jetzt noch einmal bitten, die Augen zu schließen. Dir vorzustellen, dass du an diesem See, an diesem Strand sitzt, mit deinen Freunden. Stelle dir diesen Strand bildlich vor. Die Wellen, die ans Ufer schlagen. Kannst du sie sehen? Kannst du sie hören? Schau auf das Feuer. Sieh in die Flammen. Hör, wie sie knistern. Spüre die Wärme des Feuers, die deinen Körper erreicht. Spüre die Hitze. Und spüre die Hitze deiner Scham. Die Hitze deines Versagens. Deinen Schmerz und Selbsthass. Und dann sieh hin: Jesus schaut dich an. Er schaut dir in die Augen. Hebe deinen Blick und sieh die Liebe, die er für dich hat. Er liebt dich so sehr. Er hat dir längst vergeben. Und er sagt zu dir: Bitte vergib dir jetzt auch selbst.
Schau jetzt tief in dein Herz. Jesus fragt dich: Liebst du mich?
Verweile dort: Jesus fragt dich: Liebst du mich? Du darfst antworten. Spüre hin, wie jesus dich liebt. Und höre jetzt zu, was er jetzt noch weiter zu dir ganz persönlich sagt.
Stille
Gebet
Amen
(Predigt, gehalten am 12.05. in der Baptistengemeinde Schleswig)
Text: Johannes 21, 15-19
(Die Bibel / Übersetzung: Hoffnung für alle)
Danke für sensiblen Einblick in Petrus Herz! Aus dieser Perspektive habe ich die Geschichte noch nie gelesen! Sehr bewegend!
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Danke 🙂
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Liebe Bettina,
Danke, dass Du die Predigt hier teilst.
So wie ich insgeheim schon gehofft habe, dass ich hier einmal Predigten von Dir lesen können würde, so hoffe ich, dass Du das wiederholen wirst…
Liebe Grüße, Farouk
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wow, erstmal schon freu ich mich und find´s sehr innovativ und heilsam diese Predigt von einer Frau zu lesen, in einem blog 🙂 … das Bewusstsein, dass Liebe und Verrat sich ergänzen können und nicht ausschließen müssen begegnet mir in meinem Leben aktuell sehr oft, schmerzhaft und auch heilsam … DANKE inspiriert mich auch wieder eine Bibel zu kaufen
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Vielen Dank! 🙂 Das freut mich sehr. Ich wünsche dir viel Segen beim Bibellesen.
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